Symposium

Darmstädter tage der fotografie 2023

Symposium 2023

zum Jahresthema der 12. Darmstädter Tage der Fotografie.

Samstag, 29. April 2023

09:45 Uhr    Einlass
10:15 Uhr    Intro
10:30 Uhr    Katrin Thomschke
11:20 Uhr    Philip Gaißer
12:00 Uhr    Mittagspause
14:00 Uhr    Alwin Lay & Alexander Basile
14:50 Uhr    Peggy Buth
15:30 Uhr    Kaffeepause
16:15 Uhr    Friedrich von Borries

Ort: Justus-Liebig-Haus | Große Bachgasse 2 | 64283 Darmstadt

Eintritt: 20,00 € (ermäßigt 15,00 €) Tageskarte

Karten können > hier < erworben werden.

Im Foyer des Justus-Liebig-Haus gibt es einen Stand des Georg-Büchner-Buchladen mit
Bildbänden, Katalogen und Magazinen.

Themen

13 Länder hat Sven Johne auf seiner Route von Calais im Norden Frankreichs bis in das nordgriechische Dorf Idomeni durchkreuzt. 47 Aufnahmen zeugen von dieser Reise, auf der der Künstler 2017 die sogenannte »Balkanroute« als Synonym für die Flüchtlingskrise von 2015 in umgekehrter Richtung zurücklegt. Mit gesenktem Blick hält er Orte mit der Kamera fest, die auf dieser Route liegen.

 

Es sind allesamt Orte von Grausamkeiten der europäischen Geschichte: Sven Johne macht ebenso an Schlachtfeldern der Weltkriege Halt wie an Schauplätzen von Gewalttaten der jüngeren bis jüngsten Geschichte. »47 Faults between Calais and Idomeni« wurde im Sommer 2022 in einer Ausstellung der Kunststiftung DZ BANK präsentiert. Kuratiert wurde die Werkschau von Christina Leber, künstlerische Leiterin der Kunststiftung DZ BANK, und Steffen Siegel, Inhaber des Lehrstuhls für Theorie und Geschichte der Fotografie, zusammen mit 16 Masterstudentinnen und -studenten im Rahmen eines Kooperationsprojektes der Kunststiftung DZ BANK und der Folkwang Universität der Künste.

 

»Passagen« lautete der programmatische Titel der Ausstellung, für die das Kuratorenteam insgesamt 28 Arbeiten aus der Sammlung der DZ BANK zusammenstellte. Gezeigt wurden Werke, in denen sich die Passage als ein Dazwischen, als ein Übergang thematisiert findet – ausgelöst durch Krisen oder den Lauf der Zeit. Schließlich bestimmen Umbrüche und Veränderungen alles Leben, im Positiven wie Negativen. Das Verweilen scheint meist nur von kurzer Dauer zu sein – Übergänge im persönlichen (Er-)Leben, in gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen oder globalen Strukturen vollziehen sich kontinuierlich. Wenn etwa das Künstlerduo F&D Cartier in ihrer Serie »Wait and See« in wandfüllenden Arrangements unbelichtetes Fotopapier für die Dauer der Ausstellung dem Licht aussetzt, werden nicht nur auf unmittelbar sinnfällige Weise die Grundbedingungen analoger Fotografie reflektiert, zugleich geraten ihre abstrakten Wandarbeiten auch zur Metapher stetiger Veränderung. »Können uns fotografische Kunstwerke also dabei helfen, Formen des Übergangs genauer zu verstehen?« – Diese Frage wirkte als gedankliche Grundlage der Werkauswahl.

 

Welche Formen entwickeln Künstlerinnen und Künstler, um steten Wandel und Veränderungen (nicht nur) in Krisenzeiten sichtbar werden zu lassen? Und welches (fotografische) Material wählen sie, um sich die verhandelten Themen bildlich anzueignen?

 

In meinem Vortrag werde ich anhand ausgewählter Arbeiten von F&D Cartier, Raphael Hefti, Sven Johne und Sara-Lena Maierhofer aus der Sammlung der DZ BANK künstlerische Strategien im Umgang mit Veränderungen vor- und dem Symposiumsthema zur Seite stellen.

Lieber Philip,

 

irgendwie bekomme ich den Satz nicht aus dem Ohr, mit dem für dich das Projekt angefangen hat: Was heißt es eigentlich, auf einem Vulkan zu leben? Nun ist der Berg in Soda Springs allenfalls ein falscher Vulkan, der aber dennoch in invertierter Form die todbringenden Attribute eines echten mit sich führt. Und es gibt noch eine Gemeinsamkeit: Vulkaneruptionen sind natürliche Ereignisse, die bereits vor der Globalisierung so etwas wie einen globalen ökologischen Zusammenhang spürbar machen konnten. Wir haben ja andernorts schon mal das ‚Jahr ohne Sommer‘ (oder ‚Eighteen hundred and frozen to death‘, wie die Amerikaner es auch nennen) angerissen. Auch vor der Erfindung der Telegrafie hat die ganze Welt vom Ausbruch des Tambora erfahren, damals im April 1815. Einfach weil, spätestens im nächsten Jahr, in die Stratosphäre gepumpte Vulkanasche einen Schleier über den gesamten Erdball gelegt hat (Poesie der Verkürzung, genaugenommen regten Staubaerosole die Wolkenbildung an), welcher die Sonne verdunkelte und die Temperaturen um durchschnittlich fünf bis sechs Grad drückte.

Vulkanischer Winter.

 

Ich habe das letztens nicht mehr ganz zusammen bekommen, aber die in ihrem Genfer Sommerhaus festsitzenden englischen Romantiker, die wegen des schlechten Sommerwetters Schauerromane um die Wette schrieben, waren Lord Byron, das Ehepaar Shelley und John Polidori. Mary Shelleys »Frankenstein« stand ewig im Schatten von Polidoris »Der Vampyr«, und es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass das Subgenre um einen Untoten, der keine Sonne ertragen kann, in jenem Sommer entstanden ist. Deinem Hinweis zu der veränderten Farbgebung in der Landschaftsmalerei infolge des Vulkanausbruchs bin ich übrigens nachgegangen. Hast du auch dieses skurrile Paper in Atmospheric Chemistry and Physics gelesen? Es ist schon verwegen, anzunehmen, Caspar David Friedrich und Turner hätten Realität abbilden wollen. Aber es scheint ja schon so zu sein, dass durch Aschepartikel in der Atmosphäre bedingte Refraktionen damals die Himmel eingefärbt haben.

Das ‚Jahr ohne Sommer‘ ist aber noch aus ganz anderen Gründen eine heiße Spur. Denn wer nicht gerade Landschaften pinselte oder vom Laudanum besäuselt Horrorgeschichten produzierte, versuchte einfach zu überleben. Ohne Sommer blieben schließlich auch die Ernten aus. Die entstandenen Hungersnöte setzten zwei Entwicklungen in Gang, die ziemlich genau auf das eigentliche Thema dieser deiner Arbeit zielen.

 

Erstens: Justus von Liebig (1803–1873) hungerte während seiner Darmstädter Kindheit so elendig, dass er als der große Chemiker, der er später werden sollte, wissenschaftliche Mittel und Wege gegen Hungersnöte suchte. Der Beginn der Agrikulturchemie, als deren Begründer von Liebig gilt (der sich übrigens auch praktisch mit der Mineraldüngung beschäftigte und einen wasserlöslichen Phosphatdünger, das sogenannte Superphosphat, entwickelte), geht also ebenfalls auf den Ausbruch des Tambora und seine Folgen zurück. Zweitens trat der Hunger die erste große Auswanderungswelle in die Vereinigten Staaten los. Da das Wetter an der Ostküste jedoch ebenso mies war, schwappte die Welle weiter, über die Appalachen, an die Frontier. Die dichtere Besiedlung des Mittleren Westens und in der Folge die Verschiebung der Frontier bis an den Pazifik nahmen also ebenfalls ihren Anfang in diesem Vulkanausbruch. Jedenfalls – und das ist das eigentlich Kuriose – zeitigte diese kleine Völkerwanderung den Effekt, dass im Mittleren Westen plötzlich in immensem Umfang Getreide angebaut wurde.

 

Bereits zwei Jahre später setzten Getreideexporte in die sogenannte Alte Welt ein. Auch wenn dieses Geschäftsmodell nach ein paar Jahren zusammenbrach, da Europa wieder Sommer hatte, ist doch bemerkenswert, dass die technisch-kulturellen Bedingungen, auf denen das Agribusiness (und somit Monsanto) aufsitzen, beide mit der Vulkaneruption vor dem Jahr ohne Sommer zusammenhängen! So gesehen verdichtet dein Vulkan sich zu einer zunehmend wuchtigeren seismisch-semantischen Formation. Oder andersherum gedacht, geht es in deiner Arbeit über die Monsanto-Earthworks vielleicht auch um die kulturelle Bedingung für die Entstehung dieser Endzeitmaschinerie, und das wären die Verheerungen in der Folge des Tambora-Ausbruchs. Ich sehe dich schon grinsen, wohl wissend, wohin das führt: Freud, in der Tat. Wie er Pompejis vulkanische Verschüttung analog zu seinem Konzept der Verdrängung als ein psychologischer Abwehrmechanismus setzt, der »etwas Seelisches zugleich unzugänglich macht und konserviert«, hatte ich dir ja erzählt.

 

Natürlich ist es nicht unproblematisch, mit der Psychoanalyse am kulturellen Gedächtnis rumzudeuteln. Hier lässt es sich aber produktiv machen, indem man die Anomalie, die dieses vollkommen kranke und zerstörerische Geschäftsmodell darstellt, an die Verdrängung (das Jahr ohne Sommer, etc.) zurückbindet. Dabei ist die Agrikulturchemie in Verbindung mit biochemisch verändertem Saatgut (denn die Veränderung macht das Patent!) längst ebenso zur globalen und klimatischen Bedrohung geworden wie eine Vulkaneruption in dem Ausmaß von 1815. Und in diesen Überlegungen sind die potentiellen Gesundheitsrisiken, die mit Glyphosat und verändertem Saatgut in Verbindung gebracht werden, noch nicht einmal eingepreist. Aber vielleicht gehen wir noch mal zurück zum Vulkan als Bild, Metapher, Allegorie für eine Welt als relationales Gefüge, ein Bewusstsein von Globalität. Mit der Betrachtung eines Vulkans geht darüber hinaus immer ein Unbehagen einher, steht er doch für den nicht bezwingbaren Rest Natur, der überdies die prometheische Legende, das Feuer hätte den Sieg der Kultur über die Natur bedeutet, krachend ins Reich der Fabeln verweist.

 

Ob beabsichtigt oder nicht, sei dahingestellt, aber du baust auf diesem Bild auf und dekonstruierst es mit deinem falschen Vulkan. Statt für Globalität steht er für Globalisierung, und auch das Unbehagen gilt nun nicht mehr der Möglichkeit einer plötzlich eintretenden Katastrophe, sondern der Unmöglichkeit der Beendigung der permanenten Katastrophe. Warum auch – wenn die Hungersnöte 1816 bis 1819 und Aldiss’ »Earthworks« etwas zeigen, dann doch, welch gutes Geschäft Verknappung bedeuten kann. Vielleicht kann man sagen: Was vor 200 Jahren die Naturkatastrophe war, ist heute die institutionalisierte Verantwortungslosigkeit des Aktienrechts.

 

Mit zynischen Grüßen, M.

»Die Ausstellung« fand über vier Wochen im KIT, Düsseldorf statt. In dieser Zeit wurde der Raum ständig transformiert, die Arbeiten wurden aufgebaut, abgebaut und dokumentiert. Die Ausstellung konnte in diesem Zeitraum besucht werden, doch zeigte sich dem Besucher vielmehr nur eine Präsentation im Prozess. Die Ausstellungzielte auf ihr eigenes Endresultat ab, den Katalog, in dem sie repräsentiert und reproduziert wird. Der Katalog wurde am letzten Tag des Ausstellungszeitraums öffentlich präsentiert, er heißt: »Die Ausstellung«

 

»Die Ausstellung«, zeigt somit stets eine Version von sich selbst die so als gesamtes allerdings nie nicht stattfinden konnte. Er ist die Simulation einer Ausstellung, eine kommunizierende und inszenierte Version ihrer Möglichkeiten. Wir fragen uns nun 9 Jahre später weiterhin:

 

Was ist eine Ausstellung überhaupt?

Was kann eine Ausstellung in digitalen Räumen Heute leisten?

Welchen Sinn hat eine rein physische Ausstellung? Wenn eine Ausstellung im Katalog existiert und niemand liest ihn, hat »Die Ausstellung« dann stattgefunden?

 

Angesichts einer zum Gemeinplatz gewordenen Beobachtung einer aktuellen Medien- und Informationsgesellschaft, in der, wie man sagt, alles nur Abbild und Repräsentation ist und Realität an sich nicht zu haben ist, formuliert »Die Ausstellung« ihre Präsentationsform als Illusion von der Realität aus.

 

»Die Ausstellung« ist eine Kooperation der beiden Künstler Alexander Basile & Alwin Lay.

 

Initiiert von Gertrud Peters und Mischa Kuball 2014.

In ihrem mehrteiligen Mixed-Media-Werkkomplex Desire in Representation (2005-2012) beschäftigt sich Peggy Buth mit dem Nachleben kolonialer Repräsentation.

 

Buth entwickelte eine, sich über elf Räume erstreckende, fragmentierte Erzählung als Gesamtinstallation. Jeder der elf Räume war gleichermassen autonom, wie im Zusammenhang mit den anderen lesbar. Ausgangspunkt der mehrteiligen Werkgruppe war das zwei Bände umfassende Künstlerbuch Desire in Representation (2008), das auf einer Recherche der Künstlerin über das Musée Royal de l ́Afrique Centrale in Tervuren basiert. Für ihre FotoserieTervuren (2005-2008) verfolgte die Künstlerin über einen Zeitraum von mehreren Jahren die Transformationen im belgischen Museum, in dem das koloniale Erbe Belgisch-Kongos aufbewahrt wird. In ihren Fotografien zeigt Buth Ausstellungsdisplays und räumliche Anordnungen in einer Situation des Umbruchs.

 

Überlagerungen und Leerstellen machen den Prozess der Neubewertung der belgischen Kolonialzeit sichtbar, die für das Museum zur politischen Notwendigkeit geworden war. Im Archiv des Museums befindet sich auch der Nachlass Henry Morton Stanleys. Der britisch-amerikanische Journalist und Afrikareisende arbeitete für den belgischen König Leopold II. an der Erschließung des Kongo. Neben seinen Reisebeschreibungen veröffentlichte Stanley 1873 einen Abenteuerroman, der die Basis für Buths 2-teilige Bucharbeit O, My Kalulu! / Travelling through the Musée Royale / Index (2008)bildet.

 

Fotografische Inszenierungen, die das Bildreservoir der abendländischen Malerei gleichermaßen zitieren wie populäre Buchillustrationen und homoerotische Fotografien des Fin de Siècle, bringen das ambivalente Begehren in Stanleys Fiktion über Männlichkeitsriten, Ethnizität und Sklaverei an die Oberfläche. Buth greift diese in ihren filmischen und fotografischen Re-Inszenierungen auf.

 

Peggy Buths transmediale Arbeitsweise ist prozessual und häufig mit umfangreichen Recherchen verbunden.

Was ist ein Experiment?

 

 

Ein Versuch, eine Erprobung, über deren Ausgang man eine Vermutung, aber keine Gewissheit hat, und genau deshalb es ausprobieren möchte. Was ist der Sinn des Experiments? Herauszufinden, dass etwas auch anders sein könnte, als es ist, anders, als alle es behaupten, anders, als man selbst annehmen würde. Meist verbunden mit der Hoffnung, dass dieses »anders« auch besser sei.

 

 

Starten wir einen Versuch.

Ich bitte Sie, für unbestimmte Zeit nichts zu tun. Stellen Sie sich also vor: Sie stehen an einer Wand des Raumes und starren auf den Boden. Sie wissen nicht, wie lange Sie das schon tun, und Sie wissen auch nicht, wie lange Sie das noch tun werden. Sie lehnen sich an die Wand, wollen auf ihre Uhr schauen. Aber die Uhr haben Sie vorhin abgelegt. Vor Ihrem inneren Auge zieht der gestrige Tag vorbei, dann fällt Ihnen wieder die Anweisung ein, dass Sie an nichts denken sollen. Sie versuchen, die Gedanken zu vertreiben, schauen aus dem Fenster, beobachten die vorbeiziehenden Wolken, dabei kommt Ihnen der Streit vom Vorabend in den Sinn. Wieder versuchen Sie die Gedanken zu vertreiben, eine Verärgerung kommt in Ihnen hoch. Sie fragen sich, wie lange Sie schon herumstehen. 10 Minuten? 30 Minuten? Oder doch schon eine Stunde? Sie wissen, dass Sie die Übung jederzeit abbrechen können.

 

 

In der Krise, in einer Zeit, in der wir zutiefst verunsichert sind, was kommen wird, brauchen wir Experimente, die andere Möglichkeiten von Handeln erproben, weil die Handlungen, die uns vertraut sind, derer wir uns sicher fühlen, in die Unsicherheit geführt haben, die wir Krise nennen.

 

 

In einer Zeit, die geprägt ist von Handlungs-, Ereignis- und Erfolgsdruck ist ein solches Experiment das Nichtstun. Oder das Nicht-tun. Zusammengenommen die aktive Entscheidung, sich den Handlungen, den Ereignissen, den Erfolgen zu entziehen. Zu verweigern. Es ist ein paradoxes Experiment, weil das Experiment selbst unter einem Handlungs-, Ereignis- und Erfolgsdruck steht. Es will im Allgemeinen die Erwartung bestätigen. Zeigen, dass etwas anders sein könnte. Eine erste Übung dafür ist das Warten. Warten, das keine Erwartung mit sich bringt.

 

 

Starten wir noch einen Versuch.

Ich bitte Sie, für unbestimmte Zeit nichts zu tun.

Stellen Sie sich also vor: Sie stehen an einer Wand des Raumes und starren auf den Boden.